Gutlöwenmenschen

Unserem Autor kamen beim Besuch im Zoo unschöne Gedanken: Was, wenn Löwen nicht integrierbar sind?

Loewen

Kürzlich war ich im Zoo. Tiere besuchen. Eine Stunde stand ich vor dem Löwengehege. Tiere, die rumliegen, beruhigen mich irgendwie. Es ist wie die Harzer-Schmalspurbahn angucken: Das ist auch völlig sinnlos, aber trotzdem schön.

Die Löwinnen strichen umher, der Löwe lag in der Sonne und betrachtete mich – und ich ihn. Aus sicherem Abstand, versteht sich. Ich habe nichts gegen Löwen, aber zu nahe kommen muss ich ihnen nicht. Ich bin mit deutschen Tieren groß geworden: Reh, Waldottern, Regenwurm. Ein Löwe hingegen ist gefährlich. Er kann unverhofft angreifen. Vorm Gehege wurde mir erstmals so richtig bewusst: Löwen sind in diesem Land fremd. Sie kennen unsere Kultur nicht. Sie kämpfen um ihre Ehre. Ich hab überhaupt nichts gegen den Löwen an sich. Aber man wird doch wohl noch sagen dürfen, dass er einfach anders ist. Dass sein Anderssein gefährlich sein kann. Das ist ein Fakt.

„Dies ist er also“, sagt der Mann und deutet vor einer Gruppe Menschen durch den Zaun auf den Löwen. „Der König der Tiere!“ Na, Herzlichen Glückwunsch, denke ich. Genauso könnte man zu einem übergewichtigen Kind, das vor McDonald’s unter einem Haufen Burger begraben liegt, sagen, es sei die Krone der Schöpfung.

Der Löwe hat ein eher traditionell geprägtes Weltbild. Er ist ein Pascha. Frauen bringen das Essen und kommen zum Kuscheln. Ich meine das nicht böse – jeder, wie er will.

Löwen sind auch immer müde. Die Menschen wissen das, aber sie stehen bis an den Zaun. Löwengucken heißt, sich bestätigen zu lassen in dem, was man über Löwen eh schon weiß.

Vielleicht würde es dem Löwen helfen, wenn man ihm etwas Sinnvolles zu tun gäbe. Schwierig ist auch, dass er immer unter seinesgleichen bleibt. Es gibt kaum Chancen für ein anderes Tier, in sein Gehege zu kommen. Ein Mindestmaß an kulturellem Austausch wäre schon schön.

„Und sie sehen“, sagt der Zooführer, „die Fleißigen, das sind in diesem Fall die Weibchen.“ Sie sind schlank, sportlich und ziemlich grazil. Ja, das Fremde. Es ist ganz schrecklich exotisch.

Das Rollenverständnis eines Löwen-Männchen ist jedenfalls nicht mehr zeitgemäß. Allein das Wort „Weibchen“. Ich finde, diese Löwen-Frauen verdienen mehr Respekt. Sie sind sicher nicht freiwillig unter dem Joch ihres Patriarchen. Jetzt nähert sich seine Frau. Sie legt ihren Kopf schief und schmiegt sich an. Es ist nur eine von seinen Frauen, besser gesagt. Das kann ein Löwe hier so auch eigentlich nicht ausleben, ich meine: Wo leben wir denn? In unserer Kultur ist das anders, hier sind Frauen gleich. Also: Das sind sie nicht, nein, aber das sollten sie sein. Wir haben in diesem Land gesellschaftliche Regeln. Und die gelten auch für Löwen, wenn sie hierherkommen. Mehrere Frauen haben geht hier nicht, finde ich. Da muss man auch eine klare Linie ziehen. Was sollen die Kinder denken, die hier am Gehege stehen? Dass das völlig okay ist?

Andererseits: Löwen sind aus einem anderen Kulturkreis, das ist klar, und daher darf man nicht seine eigenen Maßstäbe ansetzen in der Beurteilung eines Löwen. Das wäre eurozentristisch.

Man wird wohl noch – als Mann des Gewissens – sagen dürfen, dass dieses Tier auch nichts Sinnvolles tut. Seine pure Existenz kostet uns bares Geld.

Löwen sind generell schon tolle Tiere. Im Naturfilm zum Beispiel – in high definition. Oder im Urlaub. Aber ein Löwe, noch dazu völlig entwurzelt, vielleicht völlig frustriert, in unserem Land. Natürlich liegt er rum. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Lethargie in Wut umschlägt – und Wut in Gewalt. Löwen haben hier überhaupt keine Perspektive.

Außerdem ist hier eine Schule in der Nähe. Was, wenn so ein Löwe ausbricht? Das Viertel hat schon genug Probleme, da muss man nicht noch ein solches Gehege in die Nachbarschaft setzen. Das ist doch Wahnsinn. Ich sollte ein Schild basteln, auf dem steht: Kein Gehege in meiner Nachbarschaft!

Gehege sind sehr teuer. Das weiß ich zwar nicht genau, aber das kann man ja anhand der Größe und des Materials irgendwie abschätzen. Um einen Löwen muss man sogar einen Sandboden installieren und so ein dummes künstliches Gebirge bauen, damit er sich wie Zuhause fühlt. Oh, ja: Lasst ihn sich bloß wie zuhause fühlen, ihr Gutlöwenmenschen, damit ihm nichts fehlt, dem Löwen. Es soll ja keiner auf die Idee kommen, jemand wollte ihn hier nicht haben. Schmeißen wir doch, obwohl es gegen unsere ethischen Standards verstößt, gleich ein paar lebende Antilopen rein, statt dem, was es hier gibt und was er fressen könnte: Hering zum Beispiel. Oder Matjes.

Ich bin kein Nazi. Ich habe nur eine Meinung, die wird man wohl noch haben dürfen, oder nicht? Und wenn sie euch nicht passt: Springt doch mal rein, ins Löwen-Gehege. Können wir ja gucken, wie gut das kulturelle Miteinander so läuft. Da werdet ihr schon merken, dass ihr träumt! In der Presse schreiben sie nie was über die Kosten der Gehege. Das wird einfach unter den Tisch gekehrt, genau wie die Gefahren. Könnte man ja von den Falschen Applaus bekommen.

Ich finde es auch nicht gut, neben einem solchen Gehege zu wohnen. Also ich wohne fünf Kilometer weg, aber ein Löwe hat ja vier gesunde Füße, wenn Sie verstehen. Und dann diese hohen Zäune, damit er eingepfercht ist. Andernfalls wäre das ja viel zu gefährlich, das gibt einem doch recht. Neulich, vor gar nicht allzu langer Zeit, haben sich hier – fast genau an dieser Stelle – zwei Tiger umgebracht, weil ihnen das Gehege zu klein war! Man sperrt sie ein und wundert sich dann, wenn sie sich an die Gurgel gehen? Echt jetzt? Einer ist jedenfalls tot. Der andere hat ein paar Streifen mehr.

Ich finde: Wir sollten den Löwen helfen, wenn sie Hilfe brauchen. Aber in ihrer Heimat – nicht hier.

Auf dem Schild am Gehege lese ich, dass er hier geboren wurde. Na gut, aber selbst wenn: Vielleicht hat man seine Eltern mit falschen Versprechungen hierher gelockt. Zuhause hätte er grenzenlose Freiheit. Aber hier?

„Ich bin nicht glücklich mit diesem Löwen in der Nachbarschaft“, sage ich, als ich das Drehkreuz passiere, zum Tierpfleger an der Kasse: „Nehmen Sie es mir nicht krumm, lieber Tierpfleger, aber ich denke, er ist gefährlich. Er passt nicht hierher. Vielleicht außerhalb der Stadt, aber nicht hier. Mittendrin. Ich denke, das sehen auch andere Leute so. Also: Welche Möglichkeiten haben wir?“

Der Tierpfleger sieht mich eine Weile irritiert an. Dann stützt er die Arme in die Seite und sagt: „So habe ich das noch nie gesehen, aber dann gebe ich Ihnen mal eine Antwort, auch wenn das in diesem Zusammenhang wirklich lustig klingt: Er kann nicht zurück. In seinem Land wird er als Trophäe gehandelt und es wird auf ihn geschossen. Dort würde er nicht lange überleben. Zudem wurde er hier geboren und kennt seine echte Heimat doch gar nicht.“

„Aber sehen Sie: Diese Löwen kriegen Kinder. Allein hier sind es vier. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der ganze Zoo voll mit Löwen ist!“, sage ich.

Der Tierpfleger schüttelt den Kopf. „Denken Sie“, fragt er dann, „der Löwe ist gerne hier? Glauben Sie nicht, er wäre nicht auch lieber Zuhause? In Freiheit, wo er von Leuten wie Ihnen in Ruhe gelassen wird? Eines Tages wird er zurückgehen, das verspreche ich Ihnen. Denn dies ist nicht seine Heimat. Aber, ehrlich gesagt, ich würde mir mehr wünschen, es wäre nicht Ihre.“

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    • Alexander Krützfeldt
        • Alexander Krützfeldt

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