Echt übel

In München wird gerade gefeiert. Und natürlich kann man eine Kolumne für eine Seite namens Realsatire nicht schreiben, ohne auf die größte Realsatire zu sprechen zu kommen, die der Freistaat zu bieten hat. Ich vermute, dass die „Wiesn“ gar kein Volksfest ist, sondern dass sie sich irgendein begnadeter Satiriker vor vielen Jahren mal ausgedacht hat, um den Bayern ihren eigenen Spiegel vorzuhalten. Blöd nur, dass das bis heute niemand bemerkt hat.

Beispielsweise findet sich der dem Bayern angeborene Hang zur Größe ganz prima im Oktoberfest wieder. Der Bayer mag alles groß. Er mag große Ministerpräsidenten, rein körperlich betrachtet zumindest. Einer wie der Huber Erwin hätte es niemals zum Ministerpräsidenten gebracht, weil er nicht mal 1,80 Meter groß und auch sonst eher schmächtig ist. Seehofer dagegen misst fast zwei Meter und ist ein “Mordsbrackl”-Mannsbild, wie man hier gerne sagt. Strauß war nicht unbedingt groß, aber sehr breit. Das zählt hier auch als groß. Streibl war nix und deswegen bald wieder weg. Und Stoiber? Den haben sie hier immer eher respektiert als geliebt, was kein Wunder ist bei jemandem, der sich bei seinen Bierzeltreden immer Wasser in den Bierkrug hat schütten lassen und den man viel eher mit einem Pfefferminz-Tee als mit einer ordentlichen Maß in Verbindung bringt.

Bei der Nachfolge-Debatte für Seehofer muss man das auch berücksichtigen. Söder ist groß und breit und damit: München. KT Guttenberg ist eindeutig Berlin, von der Statur her und auch vom Getränkekonsum. So einer eröffnet eine Startup-Konferenz, aber keine Wiesn.

Die Wiesn muss bei unserer Neigung zur Größe deswegen immer ein Superlativ sein. Das größte Fest. Das teuerste Fest. Das mit den meisten Japanern und Australiern. In der Bilanz der Wiesn wird immer in großen Maßeinheiten gedacht. Wie viele Ochsen gegessen wurden beispielsweise. Und wie viele Maß getrunken wurden. Zum Vergleich: In eine ordentliche bayerische Maß passen fünf Kölsch. Und deshalb bringt man in Wiesn-Festzelten die Einwohner einer Kleinstadt unter und deswegen stehen in den Warteschlangen vor den Zelten mehr Menschen als anderswo Besucher da sind.

Und weil das alles so supidupiunfassbargroß ist, müssen alle dort hin und sich zeigen. Auch und vor allem solche, die in Wirklichkeit gar nicht supidupiunfassbargroß sind. Die Kollegen der „Bild“ beispielsweise haben dem Ex von Vroni Ferres, einem gewissen Martin Krug, jetzt einen bösen Tritt versetzt. Krug erscheint dort seit vielen Jahren mit wechselnden Partnerinnen mit seit Jahren abnehmendem Promi-Grad. Die bekannteste war noch eine gewisse Verena Kerth, die irgendwann mal im letzten Jahrtausend eine Verflossene von Oliver Kahn war. Krug jedenfalls, so die Bild in ganz und gar unsubtiler Bösartigkeit, nenne sich immer gerne „Filmproduzent“, aber eigentlich wisse man gar nicht so genau, wovon er lebe.

Das ist allerdings eine Beschreibung, die in leicht abgewandelter Form für nahezu alle B- und C-Promis gilt, die sich noch bis einschließlich 3. Oktober um ein winzig kleines bisschen Aufmerksamkeit bewerben. Gut möglich aber auch, dass RTL hier einfach nur das Casting für das nächste Dschungelcamp vornimmt. Man muss jedenfalls schon ziemlich beschlagen sein in Sachen Trash-TV, um all die Namen zuordnen zu können, die uns Bild, tz und AZ dort jeden Tag präsentieren. In diesem Zusammenhang die Frage an die großartige Anja Rützel: Wollen wir mal gemeinsam ein Buch über die Wiesn machen, so ein 100-Seiten-Reclam-Teil?

Es gibt natürlich auch andere Publikationen, die sich mit dem Wiesn-Phänomen beschäftigen, manchmal allerdings auch mit den eher unangenehmen Seiten. Die wunderbare Seite muenchenkotzt.de beispielsweise hält exakt, was der Titel verspricht (bitte stellen Sie sicher, dass Sie den Link nur klicken, wenn Sie hart im Nehmen sind). Dass man die eigene Haustür mal vollgekotzt kriegt und manchmal auch noch Unangenehmeres erlebt, findet der echte Münchner übrigens nur eingeschränkt komisch. Tatsächlich ist die Wiesn so ein bisschen was wie der FC Bayern: Alle Welt rennt hin, echte Münchner dagegen eher weniger. Für die gibt es die „oide Wiesn“, das ist sowas wie das 1860 der Volksfeste. Viel kleiner, aber irgendwie charmanter.

Und manchmal muss man dann eben auch zur Selbsthilfe greifen: Die ersten Münchner bauen sich jetzt Zäune. Und Verbotsschilder. Dass man unter diese Verbote auch die Durchführung sexueller Handlungen in fremden Gärten nimmt, zeigt dann doch, wieso es böse Menschen gibt, die die Wiesn nicht nur für einen Karneval in Trachten, sondern zunehmend auch für eine Art Swingerclub für Einsteiger halten.

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