Die Leiden des jungen Bäckers

Ein belauschtes Telefonat offenbart: Beim Bäcker läuft es zu rund 

Eine Werbetafel beim Bäcker zeigt eine Laugenecke und fragt: "Schon probiert?"

Vom Aussterben bedroht: die Laugenecke – weil sie nicht rund ist

Heimfahrt nach Feierabend, in einer erneut komplett überladenen Regionalbahn; irgendwo zwischen Hamm und Düsseldorf. Die Nerven liegen blank. Auf einem Notsitz, eingepfercht zwischen gigantischen Reisekoffern und sperrigen Fahrrädern, kauert, den Kopf in seiner Hand vergraben, ein offensichtlich verzweifelter junger Mann und telefoniert.

„Nein, ich kann es nicht fassen. So habe ich mir meinen Job wirklich nicht vorgestellt!“. Die Mitreisenden verstummen, lauschen. „Italiener, Mehrkorn, Röggelchen – alles rund!“. Am anderen Ende der Leitung versucht eine Frauenstimme zu beschwichtigen. Ohne Erfolg. „Ach, mit dem Chef habe ich schon längst gesprochen, ihm andere Formen vorgeschlagen. Aber die Kunden wollen ja unbedingt runde!“ Der angehende Bäcker, offensichtlich ambitionierter Brötchenaktivist, scheint die Welt nicht mehr zu verstehen – war die Formenvielfalt doch ein Hauptgrund für seine Berufswahl.

Er will keine runden Sachen machen. Selbstbewusst will er ein- und aufstehen – für Ecken und Kanten. In einer Welt, in der ein Brötchen dem anderen gleicht, in dieser glatt geschliffenen kapitalistischen Welt eckt der junge Bäckerslehrling an. Werden seine Hände in Zukunft nur noch eintönige Massenware produzieren, Brötchen wie am Fließband, ohne Herz und ohne Individualität?

Ein feuchter Film bildet sich in seinen Augen, als er in Gedanken die finsterere Zukunft einmal durchspielt: runde Baguettes, Laugenstangen, Brezeln und Croissants. Sein Blick verfinstert sich. Doch noch gibt er nicht auf. „Schatz, schieb´ doch schon mal bitte die Aufbackbrötchen in den Ofen. Aber die länglichen, nicht die runden!“

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