In ein paar Tagen startet der allgemeine Profifußball wieder mit seiner neuen Saison. Also, so richtig. Einen Telekom-Cup muss man ja nicht wirklich ernst nehmen und dass es in diesen Tagen in München ausgerechnet einen Audi-Cup gegeben hat, darf man dann schon wieder als Realsatire bezeichnen. Der Bayern-Trainer Ancelotti jedenfalls hat den Cup ungefähr so ernst genommen wie die Audi-Kunden die Behauptung, Diesel sei eine echt saubere Sache. Deswegen ist er mit einer Aufstellung ins Spiel gegangen, die wir an dieser Stelle gerne mal den echten Experten vorlegen wollen. Wenn Sie mehr als die Hälfte dieser Menschen kennen, Glückwunsch – Sie leben Fußball wirklich!
Mein persönlicher Favorit ist übrigens der Wechsel in der 64. Minute: Crnicki für Wintzheimer. Bemerkenswert auch, dass der Heiland auf der Reservebank bleiben musste – und das in Bayern!
In der Arena waren trotzdem fast 70.000 Leute. Was wiederum zeigt, was aus diesem Fußball geworden ist. Die Leute schauen sich fast jeden Mist an. Sogar dann, wenn eine etwas aufgemotzte FC-Bayern-A-Jugend spielt. Die „Bild“ machte dann übrigens gleich mal eine „Bayern-Krise“ daraus, verschwieg aber vorsorglich, dass neben Crnicki und Wintzheimer auch ein gewisser Christian Früchtl auf dem Platz stand: ein sehr begabter 17-jähriger Torwart aus dem Bayerischen Wald mit Schuhgröße 50, der aber kaum eine Chance hat, in den kommenden 50 Jahren das Bayern-Tor zu hüten.
In München jedenfalls zeigt sich momentan gerade, wie das so ist mit diesem Weltfußball. Wenn man wissen will, was läuft – Fußballfreunde, schaut auf diese Stadt!
Fangen wir an mit dem weltberühmten FC Bayern. Der ist inzwischen ein Global Player, ein Fußballshow-Darsteller, der als Saisonvorbereitung irgendwohin nach Asien fährt und dann von anderen Playern böse vermöbelt wird und mit ein paar Verletzten heim kommt. Danach spielen dort weniger die Früchtls und Wintzheimers dieses Landes, sondern momentan bevorzugt Spanier und Südamerikaner, die natürlich noch nie in ihrem Leben irgendwas anderes wollten, als in München Fußball zu spielen. Zumindest so lange nichts Besseres kommt, beispielsweise ein Angebot aus England, Spanien oder neuerdings auch Katar oder China.
Wenn es beim FC Bayern so richtig schlecht läuft, dann wird man leider nur Deutscher Meister. Das kann man sich aber nicht allzu oft erlauben, weil die Bundesliga im Global-Player-Business eher eine zu vernachlässigende Sache ist. Deswegen gilt der Welttrainer Pep Guardiola in München auch eher als gescheitert: Drei Meisterschaften sind Pillepalle dagegen, dass er es nicht einmal ins Finale der Champions League geschafft hat, sondern immer im Halbfinale rausflog, und immer gegen Spanier.
Das relativiert sich erst ein bisschen, seit sein Nachfolger letztes Jahr schon im Viertelfinale rausflog, ebenfalls gegen Spanier. Der Nachfolger weiß allerdings auch, dass er sich sowas nicht nochmal erlauben darf. Sonst schreibt „Bild“ gleich wieder was von Krise, und die üblichen Verdächtigen der Experten, von denen es in der Stadt reichlich gibt, fordern ebenfalls einen Neuanfang. Das Erstaunliche daran ist übrigens, dass vor allem die Münchner Experten immer noch als Experten gelten, obwohl die eigenen Stationen als Trainer bisher überschaubar waren. Matthäus trainiert schon lange nicht mehr und Herr Effenberg hat es geschafft, en passant in wenigen Monaten den gewesenen Bundesligisten aus Paderborn komplett zu ruinieren.
Der FC Bayern gilt unter den momentan dominierenden Fußball-Irren noch als gemäßigt – der bisher höchste Transfer in der Vereinsgeschichte liegt bei gerade mal einem Fünftel Neymar. Trotzdem: Wer beim FC Bayern ins Stadion geht, bekommt ein globalisiertes, marketingfähiges Produkt, dessen größte Stärke es ist, immer erfolgreich so zu tun, als seien die beiden wesentlichen Bestandteile des Vereinsnamens auch tatsächlich enthalten: Bayern und München. Aber so ist Fußball inzwischen, nicht nur in München. Auch in Dortmund haben sie gerade ein junges Juwel, das nach einem Jahr demonstrativ zeigt, keinen Bock mehr zu haben und viel lieber in Barcelona zu spielen…
Das führt uns geradewegs ein paar hundert Meter weiter in der Stadt, wo der TSV 1860 München residiert, frischgebackener Tabellenführer – in der 4.Liga. Dass man den Absturz der Sechzger auch außerhalb Münchens mitbekommen hat, lag größtenteils an der realsatirischen Komödie, die der Verein insbesondere im letzten Jahr aufgeführt hat. Wir haben an dieser Stelle ja schon das eine oder andere Mal über die wundersamen Geschichten von Scheich Ismaik und anderen erzählt, deswegen jetzt nur der aktuelle Stand der Dinge: Begleitet man die Sechzger gerade auf ihrem Weg quer durch Bayern, stellt man fest, dass es tatsächlich noch Orte gibt, in denen man für ein, zwei Euro eine ordentliche Bratwurst zum Spiel bekommt und für nochmal den gleichen Betrag auch ein Bier dazu. Man kann bar bezahlen, man sieht Kicker in ganz normalen Fußballschuhen, man hört keine abgedroschenen Phrasen hart am Rande der Lächerlichkeit („Mein Herz hat gesagt: Geh nach Paris!“).
Schon klar, man sieht dann allerdings auch Fußball auf überschaubarem Niveau, wenn man die Bundesliga als Maßstab nimmt. Und ob dieses stille Glück an der Grünwalder Straße noch lange währt, sei auch dahingestellt. Schon alleine deswegen, weil bei den Sechzgern traditionell kein Glück lange währt. Immerhin gehören dem Herrn Ismaik noch 60 Prozent an der Fußball-Abteilung, was dazu führt, dass 1860 vermutlich der weltweit einzige Viertligist mit einem milliardenschweren arabischen Investor ist. Und der einzige, dessen Heimspiele mit fast 15.000 Zuschauern immer ausverkauft sind. Wenn sie clever sind bei den Löwen, erzählen sie genau diese Geschichte weiter: die des sympathischen Underdogs, der es ganz ohne den üblichen Klimbim schafft, einfach Fußball zu spielen.
Davon abgesehen: Diese wunderbare Konkurrenz zwischen rot und blau bleibt selbst bei einem Unterschied von drei Ligen und mindestens zwei Fußballwelten bestehen. Anders jedenfalls ist die folgende kleine Geschichte kaum zu erklären: Unlängst musste ein Amtsrichter eine Verhandlung gegen eine randalierende Sechzger-Anhängerin führen. Die Tatsache, dass es beinahe einen Befangenheitsantrag gab, lag auch daran, dass der Richter ein bekennender Bayern-Fan ist und noch dazu Thomas Müller heißt.
Für die Verhandlung hatte er übrigens exakt 90 Minuten angesetzt…