Das ist gelebte Realsatire: Im Jahr der Relotius-Affäre gewinnt ausgerechnet der Mann das Reporter Slam Jahresfinale 2018, der bei SpiegelOnline ein erfundenes Interview mit einer Kartoffel veröffentlicht hat. Christian Helms – im Heimathafen Neukölln von mehr als 500 Zuschauern am lautesten beklatscht – darf sich nun ein Jahr lang “Lustigster Reporter Deutschlands” nennen. Er tritt damit die Nachfolge der freien Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel an, die vor einem Jahr an gleicher Stelle den Goldenen Pokal geholt hatte.
Wie schon im Vorjahr platzte der Heimathafen am 12. Januar wieder aus allen Nähten. Und diesmal waren sogar schon drei Tage vorher alle Tickets restlos vergriffen. Angeblich wurden sogar Karten auf dem Schwarzmarkt gehandelt. Moderator Jochen Markett hatte für den Andrang nur zwei mögliche Erklärungen. Die eine: Fälscher Claas Relotius hat in den vergangenen Jahren so ziemlich alle Journalistenpreise gewonnen – nur nicht den Reporter Slampion! Es ist also nun der wohl letzte deutsche Journalistenpreis mit unbeschädigter Glaubwürdigkeit. Die andere Erklärung: das “unglaublich geile LineUp” des Jahresfinales. Alle Slampions, die einen der sieben Slams 2018 irgendwo in Deutschland gewonnen hatten, traten nun in Berlin zum Finale an. Und so konnten sie dem Publikum eine ungewöhnlich große Bandbreite an Themen bieten.
Sebastian Quillmann (Motorbuch Verlag) – der an einem Freitag, den 13., im “Flixbus nach Paris” eingeschlafen war und damit zum Medienereignis wurde – sang erstmals alle Strophen des eingängigen Schlagers, den er dazu komponiert hat. Anke Myrrhe brachte den süßen Wackeldackel und den ungewöhnlichen Klopapierhut aus ihrem Tagesspiegel-Büro mit – und verriet, was Martin Schulz damit zu tun hat. Yassin Musharbash schaffte es, dass die Zuschauer sogar über Skurrilitäten aus dem Innenleben des Islamischen Staats (IS) lachten. Cosima Gill nahm das Publikum mit auf eine Reise nach Indien, wo aus einem “No problem” schnell ein “Big problem” wird, wenn es um das Thema Hexenverfolgung geht. Nora Hespers sorgte für einen sehr emotionalen Moment, als sie über den Tod ihres Großvaters 1943 in Berlin-Plötzensee sprach – und erklärte, warum ihre journalistische Arbeit zu seinem Widerstandskampf gegen die Nazis für sie gerade heute so wertvoll ist. Jana Kreisl bewies in ihrem Vortrag zum Hambacher Forst erneut, wie wertvoll Illustrationen für journalistische Erzählungen sein können. Ganz zum Schluss kam dann Christian Helms – und holte sich mit der sprechenden Kartoffel den großen Pokal und die realsatirische Sonnenbrille. Und dann war da ja auch noch Ukulelenbarde Bommi – der Mann, der jeden Reporter Slam musikalisch bereichert. Diesmal brachte er nicht nur neue Songs mit, die perfekt zu den Themen des Abends passten (“Claas-Reloti-Blues” und “Ich schreibe nur noch über Essen”), sondern wurde erstmals vom Bassisten Brummi begleitet.
Wer sich ob all dieser Highlights nun ärgert, dass er nicht im Heimathafen dabei war, für den gibt es Trost. Der Fernsehsender ALEX Berlin hat das gesamte Jahresfinale gefilmt und nun bei YouTube veröffentlicht:
Und Andi Weiland hat an dem Abend wunderbare Fotos gemacht. Sie beweisen, wieviel Spaß die Zuschauer wieder hatten. Und nach diesem Medienjahr ist es wichtig zu betonen: Keines der Bilder ist gefälscht.