Unser Autor konnte keine Zwiebeln mehr sehen. Er floh nach Indien. Dort wurde alles noch viel schlimmer: Die Zwiebel ist dort hochpolitisch – und Männer tragen sie unterm Turban.
Ich habe eine emotionale Verbindung zu Zwiebeln. Jeden Oktober wird in Weimar, meiner Heimatstadt, die Zwiebelkönigin gewählt. Gekrönt mit einem geflochtenen Zwiebelkranz, regiert sie über den Weimarer Zwiebelmarkt. Eine Woche Ausnahmezustand: Zwiebelkuchen, Zwiebelschnaps, Zwiebeltanz mit Jazz vor Goethes Wohnhaus, Zwiebeltanz mit Rock auf dem Marktplatz. Weil Weimar mir zu klein war und ist, bin ich vor neun Jahren nach Neu Delhi umgezogen, geflohen – nicht nur vor der Zwiebel, aber auch.
In Indien wurde alles noch viel schlimmer. Hier ist die Zwiebel Grundnahrungsmittel, Grundbaustein für jede Currysauce – und schwer politisch. Man spricht ihr magische Bedeutung zu. Der Zwiebelpreis macht Schlagzeilen auf der Titelseite. Jeden Frühling. Wir stellen uns vor: BILD-Zeitungs-Titel „Zwiebelpreis um 3 Cent gestiegen!“; die Berliner gehen auf die Straße; alle rufen: „Zwwwwiiiiieeeebeel! Power to the peeeooplllee!“; Wasserwerfer rücken an.
Hier, in Delhi, ist das vorstellbar. Die Rikschafahrer reden darüber. Die hübschen indischen Frauen in ihren hübschen Saris stellen stillschweigend, wie von ihnen erwartet, ihren Speiseplan um. Die „Times of India“ und die „Hindustan Times“ bringen es auf der Titelseite. Ein Kilo Zwiebeln kostet in den Monaten der Zwiebelknappheit mehr, als ein normaler Arbeiter am Tag verdient.
Ein grauhaariger indischer Freund erzählt mir, dass sogar die Gandhi-Familie einmal in einem Gott-verlassenen Bundesstaat die Landeswahl verloren hat, weil der Zwiebelpreis so hoch war.
Eine Fahrt nach Chandigarh, die LeCorbusier-Retortenstadt, erzwungene Landeshauptstadt des Punjab. Punjab ist wie Sachsen: Die Leute sind fleißig, ehrlich, emsig, nett, reden komisch, tragen Nike-Sneakers, kombiniert mit Pyjamahemden, und glauben, genau das sei schick und modern.
Ein bedrohlich-stolzer, hagerer Sikh mit makellos gepflegtem Bart kommt auf mich zu und erklärt mir ungefragt, eine angeschnittene halbierte Zwiebel unter dem Turban halte seinen Kopf kühl. Ich nicke, weil er mir Angst macht, aber glaube ihm kein Wort. Wickelt er sich wirklich jeden Morgen drei Meter Stoff um dem Kopf und setzt sich vorher eine Zwiebel auf?
Meine unwissenschaftlichen Umfragen in Chandigarh machen alles nur noch schlimmer: „Ja, Zwiebeln kühlen deinen Körper. Eine halbe Zwiebel in der Hosentasche hält deine Beine kalt.“ Die Sonne ist unbarmherzig im Punjab: 47 Grad; nach 20 Minuten auf der Straße ist mein Nacken gar und essbar. Aber deshalb tagelang mit ner Zwiebel in der Hose rumlaufen? Ich frage den einzig vernünftigen Menschen, den ich kenne in Chandigarh: Amit Khanna, Küchenchef. Amit erklärt mir: Es gibt kein indisches Gericht ohne Zwiebel. Ob arm, ob reich – die ersten drei Zutaten in der Pfanne sind Zwiebeln. „Ihr würzt das Gemüse beim Kochen. Wir würzen das Öl zuerst – und das Öl gibt den Geschmack an das Gemüse,“ doziert er. Ich stecke mir eine rote, in Essig eingelegte Zwiebel in dem Mund und spiele gehörlos, damit er endlich aufhört.
Mitunter gerät die indische Regierung so sehr unter öffentlichen Druck, dass sie in Ägypten zukauft, damit die Preise sinken. Unterschätze nie die Macht der Zwiebel!
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