Wir befinden uns im Jahre 2019 n.Chr. Alle Journalistenpreise in Deutschland leiden unter massivem Reputationsverlust, seit öffentlich wurde, dass Seriensieger Claas Relotius die Medienbranche jahrelang verarscht hat. Alle Journalistenpreise? Nein! Ein von unbeugsamen Reportagen-Fans verliehener kleiner Preis hört nicht auf, Widerstand zu leisten und seinen Ruhm kontinuierlich zu mehren: der Henry Nonsens Preis! Er prämiert schon seit 2012 Texte, die herrlich bekloppt vom Leben erzählen. Und da inzwischen die Branche selbst bekloppt geworden zu sein scheint, wirkt die Erfindung des Preises wie eine prophetische Selbstbespiegelung.
Seit dem 19. Mai hat er nun einen neuen Preisträger: Marvin Xin Ku von VICE. Warum das hier erst jetzt verkündet wird? Weil Sir Henry, der Namensgeber des Preises und Zeitgenosse von Oscar Wilde, stets Gründlichkeit vor Schnelligkeit gepredigt hat. Fotos mussten gesichtet, Urheberrechte geklärt, Erinnerungen sortiert werden. Doch nun kann dieser Text öffentlich machen, was mehr als 100 Zuschauer im Hamburger Polittbüro live miterlebt haben. Sie sahen fünf Journalist*innen, die erstmals bei einem Reporter Slam den Sieger des Preises ermitteln mussten. In den Vorjahren war der Titel u.a. in skurrilen WhatsApp-Chats vergeben worden. Nun mussten sich die Finalisten erstmals im Scheinwerferlicht beweisen und möglichst unterhaltsam von ihrer Recherche erzählen. Marvin Xin Ku überzeugte die Publikumsjury am meisten. Er hatte sich als chinesischer Influencer „Mister Shi Shang“ ausgegeben und damit auf die Berliner Fashion Week eingeschlichen. Seine vermeintliche Prominenz wird mit dem Titelgewinn nun sicher auch auf Sir Henry Nonsens abfärben und dessen Ruhm im Reich der Mitte mehren. Valerie Schönian gratulierte Ku als erste und überreichte ihm den Siegerpokal, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit Sir Henry aufweist. Gemeinsam mit Lisa McMinn repräsentierte Schönian auf der Bühne das Team des Portals reportagen.fm, das diesen Preis überhaupt erst erfunden hat.
Und die übrigen Finalist*innen? Anna Mayr, die sich für die ZEIT durch unzählige allgemeine Geschäftsbedingungen gelesen hat? Frederik Seeler, der für das JWD-Magazin zwei Tage lang auf einer Autobahnraststätte übernachtet hat? Kathrin Spoerr, die sich auf die Berliner Pornomesse gewagt hat und wegen einer USA-Reise im Finale von ihrer Kollegin Judith Luig vertreten wurde? Und Francesco Giammarco, der dem Unsinn eine ganze ZEIT-Serie gewidmet hat?
Ihnen allen bleibt zweierlei: der Stolz, es bei einem so renommierten Journalistenpreis in die Endrunde geschafft zu haben; und die Gewissheit, mit ihrem Auftritt zu einem sehr lustigen Abend beigetragen zu haben, bei dem auch Johannes Schneider alias Ukulelenbarde Bommi zum Baron des Reporter Slam geadelt wurde.
Diese schönen Bilder von Andi Weiland beleben die Erinnerung und dokumentieren den Slam auch für alle, die bedauerlicherweise nicht dabeisein konnten.