Vermutlich stand das in dieser kleinen Kolumne ja schon öfter, aber weil man manche Dinge gar nicht oft genug wiederholen kann: Der Bayer leidet gemeinhin nicht an zu geringem Selbstbewusstsein. Und an mangelndem Erfolg auch nicht, ganz egal, um was es geht. Wir sind gerne Primus, darunter machen wir es erst gar nicht.
Nur ist es gerade so, dass unsere Welt ein bisschen durcheinandergeraten ist. Beispielsweise beim Fußball. Dass der eine Verein mit 11 Punkten Vorsprung die Tabelle anführt und der andere nach ein paar Spieltagen den Trainer feuert, das ist für uns selbstverständlich. Dumm nur: Der Tabellenführer ist 1860 – und die Bayern haben den Coach gefeuert. Das ist ungeheuerlich.
Normalerweise zur Wiesn-Zeit sieht man Bayern-Trainer und Bayern-Spieler und Bayern-Hoenesse in Tracht verkostümiert. Ab und an wird ein Ex-Bayer auf der Heimfahrt sturzblau geblitzt, aber sonst: alles prima! Sogar den Magath und den Klinsmann haben sie noch mitgeschleppt zur Wiesn und erst im Winter rausgeworfen. Es muss also ganz schön pressiert haben, wie der Bayer sagt. Sonst wäre der Ancelotti nicht der erste Trainer in der Menschheitsgeschichte, der bei den Bayern nicht mal den Oktober erlebt, wie einige Journalistenkollegen ebenso knallhart wie aufgeregt recherchiert haben.
Das mag allerdings auch daran liegen, dass der Bayer allgemein und der Münchner speziell ein ambivalentes Verhältnis zu Italienern hat. Man versucht es immer wieder miteinander und man kann einem Münchner kaum eine größere Freude machen, als ihm zu sagen, dass München die nördlichste Stadt Italiens ist. Münchner sprechen gerne von „Monaco“, wie die Italiener die Stadt nennen. Und nicht ganz umsonst ist der „Monaco Franze“ eine der legendärsten Figuren der Stadt.
Fährt man an einem normalen Wochenende beispielsweise an den Gardasee oder die Adria, dann trifft man in Bardolino und Caorle ungefähr den halben Großraum München. Auch da üben sich die Bayern in der Italienerwerdung. Resultate dessen hat der große Gerhard Polt in seinem Klassiker „Man spricht deutsch“ schon vor 30 Jahren gezeigt. Das hat unverändert Gültigkeit.
Dumm nur, dass das mit dem Italienersein nicht so wirklich gut klappt. Dafür ist der Bayer dann doch wieder zu Deutsch, als dass er jemals so lässig wird wie der Italiener. Natürlich halten wir auch in München an der roten Ampel. Und nach allem, was man so hört, hat man bei den Bayern dem Ancelotti durchaus auch sein sehr italienisches Verhältnis zur Arbeit vorgeworfen. Ancelotti habe meist Dienst nach Vorschrift, manchmal weniger gemacht, hieß es beispielsweise in der “Zeit”.
Sehr italienisch war übrigens auch der gewesene Fitnesstrainer aus dem Ancelotti-Stab: Nach allem, was man so hört, haben sie bei den Bayern Monate gebraucht, damit er nicht mehr in der Kabine raucht. Luca Toni wiederum, vor einer Dekade der letzte italienische Stürmer der Bayern, wurden sehr spezifische Kenntnisse der Münchner Clubs und ein leichter Hang zum lässigen Training nachgesagt. Und Trap, die alte Legende? Hat eine lustige Pressekonferenz gegeben, klar, war aber auch immer etwas zu gemütlich, um wenigstens halbwegs verständliches Deutsch zu lernen.
Unsere Rache an den Italienern ist die Wiesn. Das zweite Wiesn-Wochenende ist inzwischen auch im halboffiziellen Sprachgebrauch zum Italiener-Wochenende umbenannt worden. Das liegt daran, dass an diesem Wochenende ganze Kolonien mit Busladungen nach München transportiert werden, um dort mal unsere Gemütlichkeit kennenzulernen. Gemütlichkeit heißt: irgendwann in der Nacht in den Bus, warmsaufen, auf die Wiesn, weitersaufen, kotzen, dann im Bus in ein Quartier „in der Nähe“ Münchens. Nähe heißt manchmal auch: Allgäu. Für Nichtbayern: Das ist so, als würden sie einen Berlin-Besucher in Meckpomm unterbringen, was ja auch beinahe in der Nähe ist.
Aber unsere Welt ist auch in anderer Hinsicht aus den Fugen geraten. Bisher galt ja auch immer gesetzt, dass die CSU alle Wahlen gewinnt, weil sie das ganze Bayern ja erst erschaffen hat und eine Welt ohne CSU gar nicht denkbar ist. Und jetzt? Denken sie leise und manchmal auch schon etwas lauter darüber nach, ob der Seehofer nicht der nächste Ancelotti wird.
Und danach ist es dann erst mal vorbei mit der bayerischen Lässigkeit. Tuchel und Söder, da hört sich der Spaß endgültig auf.