Ist die kleine, feine Bühnenshow des Reporter Slam gentrifiziert worden? Ende 2016 fand die Premiere noch im Prachtwerk statt, einem Coworking-Café in Berlin-Neukölln. Nur drei Jahre später gastierte der Slam nun nicht mehr in Neukölln, sondern erstmals in Berlin-Mitte. Die Location war nicht mehr das Prachtwerk, sondern der ehrwürdige Senatssaal der Humboldt-Universität (HU). Und die Zuschauer waren keine hippen Freelancer, sondern Verwaltungsmitarbeiter.
Aber es gibt für alles eine plausible Erklärung: Gemeinsam mit dem Tagesspiegel lud Realsatire erstmals zum „Reporter Slam CBF-Spezial“. CBF steht für das „Creative Bureaucracy Festival“, bei dem sich Innovatoren des Öffentlichen Sektors aus der ganzen Welt in der Bundeshauptstadt versammeln. Zum Abschluss des ersten Festival-Tages wurde an der HU geslammt. Und zusätzlich zum traditionsreichen Saal brachte das direkt zwei weitere Besonderheiten mit sich: Alle Themen drehten sich rund um Skurrilitäten aus der Welt der Bürokratie. Denn, tatsächlich, es läuft nicht alles glatt in den Behörden. Aber um dem Publikum die Angst zu nehmen, dass die Verwaltung ausgelacht wird und sich nicht wehren kann, gab es noch eine weitere Neuerung: Nach jedem Reporter-Auftritt durfte ein Experte aus dem Öffentlichen Sektor auf die Bühne, um in einem kurzen Interview die Verwaltung zu verteidigen.
So erlebten die Zuschauer einen ebenso unterhaltsamen wie innovativen Reporter Slam. Und sie konnten am Ende – in bewährter Manier – wieder einen Slampion wählen. Den Titel holte diesmal ein Mann, der seit kurzem für den Tagesspiegel arbeitet: Julius Betschka! Aber seine Geschichte hatte er noch aus seiner Zeit als Boulevard-Reporter mitgebracht. Sie spielt auf einer Kinderfarm im Wedding. Und sie erlangte bundesweite Berühmtheit, weil der Streit zwischen Bezirksamt und Farm-Besitzer ein solches Ausmaß annahm, das sogar ein Käfig aus Bauzäunen errichtet werden musste. Die Details dazu erzählte der Sieger bei seinem Auftritt, der in diesem Video festgehalten ist.
Der mutige Verwaltungsexperte, der sich dazu auf der Bühne befragen ließ, heißt Marcus Lehmann und ist stellvertretender Jugendamtsleiter im Bezirksamt Mitte. Sein unterhaltsamer Rückblick auf die Posse ist hier zu sehen, gespickt mit weiteren verrückten Zitaten des betroffenen Farmers.
Für unglaubliche Geschichten aus dem Öffentlichen Dienst hat die Satiresendung extra3 seit Jahren sogar eine eigene Rubrik: den realen Irrsinn. Einer der Autoren, Jens Barkhorn, reiste für den Reporter Slam aus Hamburg nach Berlin – und hatte drei seiner schönsten Geschichten im Gepäck, u. a. zur Frage, wieso ausgerechnet der Bundesrechnungshof in Potsdam das Licht auf dem Flur nicht mehr löschen konnte.
Der Mann, der diese Recherche überhaupt erst angestoßen hatte, wohnt in Potsdam direkt neben dem Bundesrechnungshof: Sassan Sarlak. Er wusste auf der Bühne zu berichten, dass das Problem inzwischen gelöst wurde – und er nun nicht mehr durch das Licht vom Schlafen abgehalten wird.
Im Anschluss erlebten die Zuschauer etwas, das es in der Geschichte des Reporter Slam erst einmal gegeben hatte: Ein Journalisten-Duo slammte gemeinsam auf der Bühne. Die Recherche von Britta Streiter und Friedrich Herkt vom RBB schien prädestiniert für den Slam. Schon die drei Stichworte in der Anmoderation – Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Highspeed-Internet – ließen auf gute Realsatire hoffen. Und die brachten Streiter und Herkt dann auch auf die Bühne, zusammen mit einer aufblasbaren Badeinsel.
Wenn über Internetgeschwindigkeit in der Region gelacht wird, dann schmerzt das einen Mann ganz besonders: Dr. André Göbel, den Geschäftsführer der neuen Digitalagentur Brandenburg. Er sieht Deutschland eher als digitales Entwicklungsland, kündigte aber an, Regeln zu ändern, um grenzüberschreitend voranzukommen. Und er setzt auf Nachbarschaftshilfe.
Wem der Slam bis dahin zu Berlin-Brandenburg-lastig war, dem konnte abschließend geholfen werden. Reporter Nik Afanasjew nahm das Publikum mit in einen Staat, den es offiziell gar nicht gibt: die Republik Arzach. Dort wurde vor kurzem ein international bedeutendes Fußballturnier veranstaltet – doch kaum jemand bekam es mit. Nik Afanasjew verrät im Video die skurrilen Hintergründe.
Und sogar zur Fußball-EM der nicht-anerkannten Staaten findet man einen deutschen Experten: den Turniermanager René Jacobi aus Leipzig, zugleich Präsident der Confederation of Football.
Das zeigt, wie unerschöpflich die deutsche Verwaltung ist. Und wie unterhaltsam und selbstironisch sie obendrein noch sein kann, das hat der „Reporter Slam CBF-Spezial“ nun also bewiesen.
(Fotos: robert-schlesinger.com)