In die Fresse

Es gibt Menschen, die mögen Bayern nicht so richtig. Weder das Land noch die Fußball-Bayern. Oder, am allerschlimmsten: beide zusammen. Das hat damit zu tun, dass wir immer ein bisschen streberhaft daherkommen. Meistens die Besten und wenn nicht, dann wenigstens die Zweitbesten, wobei Letzteres in der Welt der Fußball-Bayern einer Demütigung gleichkommt. Beim FC Bayern ist eine Saison mit nur einem Titel beinahe ein Entlassungsgrund, was die ganze Sache für die notorischen Zweit- oder Achtplatzierten auch nicht sympathischer macht.

Jedenfalls denkt man sich in anderen Regionen Deutschlands gerne mal, es werde Zeit, dass Bayern (Land und Fußball) mal wieder einen in die Fresse kriegen, wie es der großartige Holger Gertz mal beschrieben hat. Dass diese großartige Geschichte mit diesem wunderbaren Autor in der in München beheimateten Süddeutschen Zeitung erschien, kann man dann übrigens fast schon wieder als Realsatire bezeichnen.

Für alle die, die uns gerne mal was auf Maul hauen würden (in Bayern nennen wir sowas übrigens: Watschn, Schelln – oder Fotzn, aber nicht so, wie Sie sich das jetzt wieder denken), gab es dieser Tage Hoffnung. Hoffnung, dass der Streber aufsteht, seine Sachen packt, mit einem verächtlichen „Ihr seid mir echt zu doof!“ aus der Tür geht. Das wäre eine prima Gelegenheit, dem Streber ein „Geh halt!“ unter höhnischem Gelächter hinterherzurufen.

Und wie schön das wäre! Der Seehofer hätte nur noch den Söder zu quälen, ab und an käme er zum Staatsbesuch nach Berlin, man müsste keine Belehrungen aus München mehr ertragen und in der neugegründeten Bayernliga spielt die Auswahl FC Bayern 1 gegen die Auswahl FC Bayern 2 um den Titel. Der Club aus Nürnberg wäre Vizemeister, und sogar 1860 könnte mal wieder was reißen und sich in einem packenden Duell mit Schalding-Heining für die Europa League qualifizieren.

Aus Sicht der Nicht-Bayern also eine ebenso verlockende Idee wie für die Bayern selbst. Deswegen haben sich dann auch über 30 Prozent der Bayern in einer Umfrage dafür ausgesprochen, aus diesem lästigen Deutschland endlich auszutreten. Eine Art BayXit also oder DExit, ganz wie man will. Blöd bloß, dass solche Umfragen nur eingeschränkt ernst zu nehmen sind. Sie tauchen alle paar Jahre bevorzugt zu Zeiten des Sommerlochs auf und werden dann insbesondere von den Kollegen des Boulevards hochgejazzt. Das führte vor etlichen Jahren sogar mal zu einer Umfrage, ob sich nicht die Franken von den Bayern abspalten wollen. Immerhin wäre alleine dieses neugegründete Bundesland Franken immer noch das viertgrößte in Deutschland und auch das hätte seine Vorteile. Söder wäre endlich Ministerpräsident und Frankenkönig in einem. Und nicht mal der 1. FC Nürnberg könnte sich so dusselig anstellen, dass er in der Frankenliga nicht Dauermeister würde.

Allerdings ist auch diese Debatte schon ein wenig älter und die Fans des Frankentums werden jetzt tapfer sein müssen: Ihr bleibt so bei uns in Bayern wie wir in Deutschland bleiben, Ende der Durchsage.

Aber auch dann, wenn man sich zwangseingemeindet in Deutschland fühlen sollte, kann man in diesem wunderbaren Freistaat seine ganz eigene Kultur pflegen. In einer Schule am Tegernsee beispielsweise gibt es demnächst ein Schulfach, das Journalisten bereits so schön wie griffig als „Dahoam“ bezeichnet haben. Dagegen spricht die Bürokratie, die auch in Bayern regelmäßig schöne Wortmonster hervorbringt. Bleiben wir trotzdem beim Fach „Dahoam“, was einfach sehr viel schöner und vor allem bayerischer klingt als, sagen wir, bayerische Brauchtumsgeschichte.

Dass sie dieses Fach ausgerechnet in einer Schule am Tegernsee einführen, ist übrigens so schön wie bezeichnend für das ganze Dilemma, dass der Bayer mit Deutschland und dem Rest der Welt hat. Nirgendwo ist der Freistaat so sehr dahoam und gleichzeitig auch wieder heimatentwurzelt wie in dieser Region. Dort gibt es alles, was Bayern ausmacht, also Wasser, Berge und manchmal sogar echte Trachten und echte Oberbayern. Dort gibt es aber auch: Uli Hoeneß und Phillip Lahm, die wenigstens noch als Bayern durchgehen können. Neuerdings wohnt aber auch der gebürtige Gelsenkirchener Manuel Neuer dort und sogar Michail Gorbatschow hatte da bis vor kurzem ein Domizil, aus dem wiederum das ganze Elend des Sozialismus hervorgeht: Der Ex-Chef der UdSSR residierte dort in einem kleinen Schlösschen, gegen das Honeckers Wandlitz ein feuchter Dreck war.

Auf der anderen Seite: Selbst sehr konservative Bayern, also solche, die einen Austritt aus Deutschland umgehend unterschreiben würden, müssen eingestehen, dass wir ohne Gorbi und Neuer im Jahr 2017 ziemlich blöd ausschauen würden. Wir wären weder Deutschland noch wären wir Weltmeister. Weswegen wir sogar Gelsenkirchenern und kommunistischen Weltenlenkern an unserem schönen Tegernsee Asyl gewähren.

So sind wir eben in Bayern, globalisiert und dann doch wieder ganz heimelig am See. Ein bisschen sehr strebsam, aber auf der anderen Seite auch wieder Rebell. Konservativ bis bin die Knochen, aber so tolerant, dass Gorbi am Tegernsee lebt. Und am Ende ja dann doch ganz nett, irgendwie. Mit der Realität müsst ihr leben, weil wir ihr wohl doch noch ein bisschen erhalten bleiben.

Zumindest bis zum nächsten Sommerloch.

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